Tegernheim. Zahlreiche Mitglieder und interessierte Bürgerinnen und Bürger waren der Einladung des SPD-Ortsvereins gefolgt und zur öffentlichen Versammlung mit dem Europakandidaten Michael Zirpel in das Gasthaus Götzfried gekommen. In seiner Begrüßung betonte Vorsitzender Meinrad Hirschmann, dass Europa 90 Jahre nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges vor einer neuen friedlichen Epoche stehe. Außerdem habe die SPD bereits 1925 in ihrem Heidelberger Programm die europäische Einigung als Ziel festgeschrieben. Das Ziel der Völkerverständigung verfolge man auch in der Tegernheimer Kommunalpolitik, wo seit nunmehr zwei Jahren eine Partnerschaft mit einer polnischen Gemeinde bestehe.
Michael Zirpel, zur Zeit Pressesprecher im Verkehrsministerium und langjähriger Mitarbeiter des scheidenden Oberpfälzer SPD-Europaabgeordneten Dr. Gerhard Schmid, sagte in seiner persönlichen Vorstellung, dass er während des Studiums beim FC Tegernheim Basketball gespielt habe und auch heute noch freundschaftliche Beziehungen zu ehemaligen Mitspielern im Ort pflege. Die Wahl am 13. Juni bezeichnete Zirpel als wichtige Weichenstellung für Europa. Hierbei gehe es vor allem darum, dass sich im Europaparlament eine Mehrheit für ein "selbstbewusstes und friedliches Europa" ergebe. Viele konservative Politiker sähen in Europa immer noch ein "Anhängsel Amerikas". Europa müsse zukünftig durch diplomatische Bemühungen für Frieden sorgen und nicht durch Beteiligung an Kampfhandlungen. Nach dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedsländer sei Europa einer der größten Wirtschaftsräume der Welt geworden und die Oberpfalz liege nunmehr in der Mitte. Dieses vergrößerte Europa gelte es zukünftig in Straßburg zu gestalten. Gerade deshalb sei es wichtig, dass die Oberpfalz im neuen Europaparlament auch mit einem Abgeordneten vertreten sei.
Mehr Chancen als Risiken
Im Gegensatz zur CSU, die in der Bevölkerung vielfach nur Ängste schüre, sehe er in der Erweiterung vor allem für die Oberpfalz und Deutschland mehr Chancen als Risiken. Wichtig sei es allerdings, dass die europäischen Vorschriften zum Umwelt-, Arbeits- und Sozialrecht, in den neuen Ländern auch eingehalten werden und vor allem früher übliche wettbewerbsverzerrende Subventionen für Betriebe eingeschränkt würden. Da die Bundesrepublik schon vor der Erweiterung in die osteuropäischen Staaten mehr Güter nach USA und Kanada exportierte, rechneten vorsichtige Wissenschaftler mit mehr als 100.000 neuen Arbeitsplätzen. Die SPD-Bundesregierung habe sich bei den Verhandlungen auch erfolgreich dafür eingesetzt, den Zuzug von Arbeitnehmern aus den neuen Ländern in den nächsten sieben Jahren zu beschränken, so dass Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt ausblieben.
Wichtig sei für ihn ferner, dass bei den neuen Verhandlungen für die Zeit nach 2006 Ostbayern und seine Verkehrswege auch zukünftig von der EU gefördert werden. Als konkrete Beispiele nannte er die A 6, die Schienenverbindung Nürnberg-Prag und den Ausbau der Donau. Zirpel stellte allerdings klar, dass es beim Donauausbau mit der SPD keine Staustufen geben werde. Zum Thema Innere Sicherheit und Kriminalität merkte Zirpel an, dass sich im Gegensatz zu den von der CSU geschürten Ängsten vorerst nichts ändere. Der Wegfall der Personenkontrollen, etwa an der tschechischen Grenze erfolge nicht automatisch, sondern müsse vom EU-Parlament abgesegnet werden. Als frühest möglichen Termin nannte er das Jahr 2007. Gleichzeitig habe die EU-Osterweiterung nach Aussage der Polizei eine stark verbesserte Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung mit sich gebracht. Sicherheitsgefahren entstünden in Bayern vor allem durch die von der Staatsregierung beschlossenen Kürzungen bei der Polizei.
Türkei 2015 zu EU?
Zum Abschluss setzte sich Zirpel noch mit dem Scheinwahlkampfthema "Türkeibeitritt" auseinander. Dazu stellte er klar, dass ein Beitritt der Türkei für das Europaparlament kein Thema sei, weil diese Entscheidung alleine von den mittlerweile 25 Staatschefs getroffen werde. Trotz des Versprechens von Helmut Kohl 1997, dass ein Beitritt nach Erfüllung bestimmter Kriterien erfolgen könne, seien mit der Türkei bisher noch nicht einmal Verhandlungen begonnen worden. Da die Beitrittsverhandlungen mit den zehn neuen Ländern bereits 1993 begonnen haben, könne er sich einen Türkeibeitritt frühesten ab 2015 vorstellen. Es sei also niemals bedenklich, mit diesem Thema heute Ängste in der Bevölkerung zu schüren. In der anschließenden Diskussion forderte der stellvertretende Ortsvorsitzende Reinhard Peter die Einhaltung sozialpolitischer Mindeststandards in der EU. Gleichzeitig warnte er davor, dass das Lohnniveau durch den Druck aus Osteuropa sinken könne. Als Problem sehe er auch die großen Unterschiede bei den Sozialversicherungssystemen. Dazu meinte der Redner, dass vor allem Erfahrungen aus den früheren Beitrittsländern Spanien oder Portugal gezeigt hätten, dass sich das Lohnniveau schnell angleiche und wirtschaftlich schwächere Länder nicht automatisch zur Verschlechterung in der gesamten EU führen. Eine weitaus größere Gefahr gehe in diesem Punkt von den Oppositionsparteien im Bundestag aus, die vor allem einen Wegfall des Flächentarifvertrages beabsichtigen.
Zu spät informiert
Herbert Wesselsky bemängelte, dass die Bevölkerung über den Beitritt der zehn neuen Länder zu wenig und zu spät informiert worden sei. Deshalb sei dieses Thema nun auch ein Hauptpunkt der Europawahl. Gleichzeitig sah er Probleme, dass Deutschland, das schon durch den Aufbau Ost finanziell stark belastet sei, durch die Erweiterung zusätzlich gefordert werde. Zirpel entgegnete dieser Befürchtung mit der Feststellung, dass seit Antritt der SPD-Regierung der Beitrag Deutschlands zum EU-Haushalt von 65 auf mittlerweile 30 Prozent gesunken sei. Die Kosten pro Einwohner bezifferte er auf rund 25 Euro.
Werner Laudehr begrüßte die Erweiterung als wichtigen Schritt der Friedenssicherung. Angesichts zahlreicher weiterer Länder, die in die EU drängten, wollte er wissen, wo der Referent die Grenze der "Unregierbarkeit" sehe. Zirpel meinte, dass aller Wahrscheinlichkeit nach 2007 noch Rumänien und Bulgarien in die EU aufgenommen werden. Eine Mitgliedschaft strebe ferner noch Kroatien an. Eine Unregierbarkeit sehe er auch danach nicht gegeben, weil Europa kein Bundesstaat wie die USA sei, sondern jedes Land selbständig bleibe.
Euro nicht automatisch
Auf Nachfrage von Olga Wesselsky stellte Zirpel klar, dass mit dem Beitritt der neuen Länder nicht automatisch auch eine Einführung des Euro verbunden sei. Diese sei an bestimmte währungspolitische Vorgaben, wie eine mindestens zweijährige Mitgliedschaft im europäischen Währungsverbund, gebunden und schon aus diesem Grunde frühestens ab 2008 denkbar.
Meinrad Hirschmann erinnerte in seinem Schlusswort daran, dass die erfolgreichen und auch von der Union nicht kritisierten Beitrittsverhandlungen von einem bayerischen SPD-Politiker, nämlich Günther Verbeugen, geführt wurden. Dieser komme am 6. Juni nach Regensburg. Michael Zirpel schließlich informierte die Anwesenden, dass der Bürger bei der Wahl zum europäischen Parlament nur eine Stimme für eine Partei habe. Auf dem Stimmzettel befänden sich daher nur die ersten zehn Kandidaten der jeweiligen Landesliste. Deshalb finde man leider seinen Namen nicht auf dem Stimmzettel. Um auf dem aussichtsreichen 31. Platz dennoch für die Oberpfalz in das EU-Parlament einziehen zu können, sei ein gutes Abschneiden der SPD in ganz Deutschland notwendig.
(Bericht der Donau-Post vom 22. Mai 2004)