Tegernheim. Wenig Lob und viel Kritik musste sich die SPD Bundestagsabgeordnete Erika Simm am vergangenen Dienstag bei einer öffentlichen Versammlung der Tegernheimer Sozialdemokraten im Gasthaus Götzfried anhören. Während Vorsitzender Reinhard Peter und Werner Laudehr in der Diskussion verschiedene Änderungen im Sozial- und Gesundheitsbereich kritisch hinterfragten, forderte Fraktionssprecher Herbert Wesselsky die Abgeordnete auf, sich für eine fünfjährige Aussetzung der hohen Solidaritätsumlagen der Gemeinden einzusetzen.
Schon in seiner Begrüßung ging Ortsvorsitzender Peter auf verschiedene problematische Gesetzesänderungen in der jüngsten Vergangenheit ein. Unter anderem nannte er das neue Kündigungsgesetz. Der Wille der Regierungskoalition zu einer Entbürokratisierung habe inzwischen zu einer Willkür bei Entlassungen geführt. Eine Korrektur forderte Peter auch beim Arbeitslosengeld. Die im Gesetz neuerdings vorgeschriebene Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten vor dem Bezug von Arbeitslosengeld könne von vielen Saisonbeschäftigten im Bau-, Forst- oder Gastronomiebereich nicht erbracht werden. Dieser Personenkreis erhält deshalb zukünftig nur noch Arbeitslosenhilfe. Als positiv wertete Peter, dass die SPD eine Aushöhlung des Tarifrechts verhindert habe, Erika Simm bewertete die Regierungsarbeit seit 1998 als durchaus erfolgreich, auch wenn Vieles davon in der Öffentlichkeit oft anders dargestellt werde. So habe die SPD-geführte Bundesregierung eine Steuerreform durchgesetzt, die einen Durchschnittsverdiener mit einem Bruttolohn von 2.500 Euro seit 1998 um 26 Prozent entlastet habe. Neben der bereits beschlossenen Senkung im Jahre 2005 seien aber keine weiteren Steuerausfälle vom Bundeshaushalt zu verkraften. Als "unfinanzierbar" bezeichnete sie die jetzigen Steuervorschläge der Union. Die Regierung Schröder habe auch das Kindergeld massiv erhöht und die Elternzeit umgestaltet. Ein notweniges Projekt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sei ferner mit dem "JUMP-Programm" angestoßen worden. Als großen Erfolg bezeichnete Simm ebenfalls das 100.000-Dächer-Programm, das gerade vielen Handwerksbetrieben zu Aufträgen verholten habe.
Gesundheitsforum unbefriedigend
In der neuen Legislaturperiode würden den Ländern auch jährlich rund fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um eine bessere Versorgung mit Ganztagsschulen in Deutschland zu erreichen. Hierdurch sollte vor allem die hohe Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss verringert werden, die später kaum eine Chance auf einen Ausbildungsplatz hätten. Leider habe gerade der Freistaat Bayern bis jetzt kaum Mittel abgerufen, da dieses Projekt nicht in das politische Weltbild der CSU passe, sagte Simm enttäuscht. Eine Zweckentfremdung dieser Mittel zur Einführung des achtklassigen Gymnasiums werde die Bundesregierung allerdings verhindern.
Als persönlich wenig befriedigend bezeichnete die Bundestagsabgeordnete die mit der CDU/CSU ausgehandelte Gesundheitsreform. Während die SPD ursprünglich nur eine Praxisgebühr für Facharztbesuche ohne Überweisung einführen wollte, habe die Gesundheitsministerin auf Drängen der Union der heute von vielen Bürgern kritisierten Praxisgebühr beim Hausarzt zugestimmt. Auch die zu Anfang des Jahres ungeklärten Probleme bei Krankentransporten, Zuzahlungen und anderen Dingen sei kein Gesetzgebungsfehler, sondern alleine von den Selbstverwaltungsgremien der Ärzte und Kassen verschuldet.
Da fast 70 Prozent aller Gesetze von der unionsdominierten Länderkammer abgesegnet werden müssten, komme kaum ein Gesetz so zustande, wie es von der Regierung beziehungsweise den Regierungsfraktionen eingebracht oder beabsichtigt worden sei. Außerdem würden viele neue Gesetze zeitlich stark verzögert. Sogar das Gesundheitsreformgesetz, das bereits im September zwischen Regierung und Opposition ausgehandelt worden war, erhielt den Segen des Bundesrates erst am 19. Dezember.
In der anschließenden Aussprache informierte Werner Laudehr die Abgeordnete über die praktischen Probleme bei der Umsetzung der neuen gesetzlichen Regelung bei chronisch Kranken. Simm versprach, sich um Abhilfe zu bemühen. Algis Juknevicius bezeichnete die Arbeitslosigkeit als "drängendstes Problem unseres Landes" und forderte hier verstärkte Anstrengungen seitens der Regierung. Dazu meinte die Abgeordnete, dass die Regierung verschiedene Reformen angepackt habe, die weltwirtschaftliche Lage aber den von allen prognostizierten Aufschwung und damit eine Senkung der Arbeitslosenzahlen verhindert habe. Sie selbst leide als sozialdemokratische Politikerin besonders an dieser Tatsache.
Reinhard Peter erinnerte daran, dass die von der SPD-Regierung beschlossenen Arbeitsmarktreformen bei vielen Sozialdemokraten auf Unverständnis stießen, die bereits bekannten Pläne der Union und FDP aber zu einer "Amputierung des Sozialstaats" führen würden. Als Beispiele nannte er die Plane zur Einschränkung des Kündigungsschutzes und die Änderung bei der Mitbestimmung. Herbert Wesselsky schließlich forderte die Abgeordnete in seiner Eigenschaft als Sprecher der SPD-Fraktion im Tegernheimer Gemeinderat auf, sich in Berlin für eine mindestens fünfjährige Aussetzung der gemeindlichen Solidaritätsumlage zugunsten der ostdeutschen Länder einzusetzen.
Wenig bekannter Skandal
Während in den neuen Ländern oftmals schon keine sinnvolle Verwendung dieser Gelder mehr gegeben sei, würden die meisten Gemeinden im Westen dieses Geld dringend brauchen. Es sei ein in der Öffentlichkeit wenig bekannter Skandal, dass "die Kohl-Regierung 1996 zwar den Soli für den Steuerbürger von 7,5 auf 5,5 Prozent gesenkt, gleichzeitig aber damals die Umlage für die Gemeinden erhöht" habe. Mit der Summe von rund 160.000 Euro, die Tegernheim zu zahlen habe, könnte der gemeindliche Schuldendienst bedient werden.
MdB Simm versprach, auch hier sich dieses Problems, das sie als Gemeinderätin auch selbst kenne, anzunehmen, verwies jedoch gleichzeitig darauf, dass auch der Freistaat die kommunale Finanzmisere durch seine Kürzungen verstärke. So habe die Stoiber-Regierung die Straßenbaumittel, Zuschüsse für die Feuerwehren, die Jugendarbeit und Sportvereine, den Hochwasserschutz sowie Fördermittel beim öffentlichen Personennahverkehr gekürzt.
(Bericht der Donau-Post vom 20. März 2004)