Tegernheimer Echo 2001, Nr. 1 - (27. Jg.)

Schon der Blick auf ein paar Vergleichszahlen macht deutlich, dass sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Bayern - und damit auch die Lebensumstände der kleinen Leute in Tegernheim - im letzten Jahrhundert umfassender und tief greifender gewandelt haben als in den tausend Jahren zuvor.

Ein Studium der Berichterstattung unserer Heimatzeitung (Bayerischer Volksbote, Regensburg) im Februar 1901 (Tegernheims tausendjähriges Jubiläum!) öffnet die Augen dafür, welche Sorgen und Nöte unsere Vorfahren damals bedrückten, welchen Zwängen sie ausgeliefert waren, aber auch, wofür es sich für sie lohnte zu kämpfen.

Viel Vergnügen bei dieser spannenden, zum Teil amüsanten, auf jeden Fall aber lehrreichen Lektüre!

Zunächst ein kurzer Artikel, der verdeutlicht, welchen Stellenwert eine militärische Laufbahn in der damaligen Zeit - nicht nur in Preußen! - genoss:

Freudig berührende Thatsachen

"Unter den im 14. Infanterieregiment zu Nürnberg dienenden 98 Einjährig-Freiwilligen befinden sich zehn Lehrer. Bei der kürzlich vorgenommenen Auswahl derjenigen, welche zu Offiziersaspiranten sich eignen, wurden von den 10 Lehrern 9, also 90 Prozent für befähigt gefunden, während von den übrigen 88 nur 28, also 32 Prozent qualifiziert wurden. Diese Thatsache wird nicht nur in Lehrerkreisen freudig berühren (...)."

Der Februar 1901 war offensichtlich bitterkalt. Die armen Leute litten besonders hart unter den widrigen Verhältnissen, wie die beiden folgenden Berichte zeigen:

Schlechte Kleider, schlechte Wohnungen, mangelhafte Nahrung

"Aus allen Teilen des Landes kommen bittere Klagen über die anhaltende, strenge Kälte und leider auch viele Berichte über durch dieselbe verursachte Unglücksfälle. In den Wäldern und auf den Feldern werden massenhaft erfrorenes Wild und erfrorene Vögel aufgefunden. Am schwersten wird die Kälte wohl von den armen Leuten empfunden, welche schlechte Kleider, schlechte Wohnungen und mangelhafte Nahrung haben. Ihrer sollte man zuerst gedenken."

Lungenentzündung als Folge sträflicher Unvernunft...

"Eine große Unvernunft ist jetzt seitens mancher Eltern, insbesondere aber von vielen Müttern wahrzunehmen, die darin besteht, daß dieselben, durch die herrschende Kälte zu einem rascheren Schritttempo veranlaßt, in einem solchen ihre Wege zurücklegen, auch wenn sie ihre Kleinen bei sich haben, die dann - wie man täglich zum Ärgernis sehen kann - um mitzukommen, fortgesetzt nebenherlaufen müssen. Lungenentzündung ist nicht selten die Folge solch sträflicher Unvernunft!"

Soziale Absicherung im heutigen Sinne gab es vor hundert Jahren noch nicht Almosen wurden nach Gutdünken und oft recht willkürlich verteilt, wie das nächste Beispiel zeigt:

"Sozialpolitik" nach Fürstenart: keine Mark für Tegernheim!

"Se. Durchlaucht der regierende Fürst Albert von Thurn und Taxis, Herzog zu Wörth und Donaustauf, haben hocherfreut über die glückliche Geburt eines Prinzen und innig gerührt durch die allseitige warme Anteilnahme für die Armen der Stadt Regensburg ein Geschenk von 5000 Mk. und für jene der Orte Stadtamhof, Sallern, Reinhausen und Steinweg ein solches von 1000 Mk. bestimmt (...)."

Heutzutage von vielen als selbstverständlich hingenommene soziale Errungenschaften mussten von unseren Vorvätern Schritt für Schritt erkämpft werden. Die Arbeiterbewegung baute dabei seit jeher auf das Prinzip der Solidarität:

Bericht vom Freitag, 22. Februar 1901:

"Gestern nachmittags 3 Uhr haben sämtliche Arbeiter (14 Schlossergehilfen) des Hrn. Schlossermeisters J. Kaiser dahier die Arbeit niedergelegt, da ihnen bei einer 10 1/2 stündigen Arbeitszeit eine halbstündige Vesper vom Meister nicht genehmigt wurde. Im Laufe des Nachmittags richtete Hr. Kaiser, der z. Zt. die Arbeiten am neuen Gefängnisse herzustellen hat, an die Gehilfen, welche im Restaurant zur >Glocke< versammelt waren, einen Brief des Inhalts: >Wenn die Gehilfen morgen die Arbeit nicht aufnehmen, werden ihre Stellen anderweitig besetzt!< Hierauf erklärten die Gehilfen dem Meister in einem Briefe:> Wir werden die Arbeit nicht aufnehmen, bis uns die geforderte halbstündige Vesperpause bewilligt wird.<"

Wie die Sache ausging, war am Dienstag, 26. Februar, nachzulesen:

"Die Schlossergehilfen des Herrn J. Kaiser, Schlossermeister dahier, welche, wie wir kurz meldeten, am letzten Donnerstag nachmittag 3 Uhr wegen Nichtbewilligung einer halbstündigen Vesperpause die Arbeit niedergelegt hatten, haben die Arbeit wieder aufgenommen, da ihnen vom Meister eine halbstündige Vesperpause genehmigt wurde."

Quellen: Bayerischer Volksbote, Regensburg mehrere Ausgaben vom Februar 1901

Meinrad Hirschmann