Tegernheimer Echo 2001, Nr. 1 - (27. Jg.)

Soldatenleben in der "großen Zeit"

Was hielt das Vaterland für seine tapferen Söhne bereit, die als Soldaten dienten? Der bayerische Kriegsminister wetterte im März 1914: "Die Fälle unwürdiger Behandlung von Untergebenen haben trotz vielfacher Erlasse (...) keine genügende Einschränkung erfahren." Von den Offizieren wurde gefordert, endlich die "rohe Behandlung" der Mannschaften und "Schimpfwörter" zu unterlassen. Gerügt wurde auch die "unangebrachte Nachsicht von Disziplinarvorgesetzten und Gerichtsherren" bei entsprechenden Verstößen von Unterführern. Leider seien auch die "Schikanen und Quälereien von Mannschaften im inneren Dienst" bisher nicht abzustellen gewesen. Wurden hier wenigstens noch die wahren Zustände beim Namen genannt, führte man andererseits die Truppe und die gesamte Bevölkerung an der Nase herum. Trotz offensichtlicher Kriegsgefahr meldete eine Regensburger Zeitung noch am 3l. Juli 1914: "Die Meldung auswärtiger Blätter, dass Deutschlands Mobilmachung erfolgen werde (..), ist, wie wir erfahren, vollkommen unzutreffend." Am 1. August unterzeichnete der Kaiser den Mobilmachungsbefehl.

1918 zählte das bayerische Feldheer 550 000 Mann. Bayerns Gesamtstreitmacht belief sich (einschließlich der pfälzischen Gebiete) auf 910 000 Mann - über 13% der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich: Deutschland müsste heute über 10,6 Millionen Soldaten unterhalten, um so gerüstet zu sein wie Bayern damals. Eine schnelle Wiedereingliederung der aus dem Krieg heimkommenden Truppen in den Arbeitsmarkt war praktisch unmöglich. Vielen jedoch blieb das Wiedersehen mit ihren Familien versagt. Von den 148 Tegernheimer Männern, die im 1. Weltkrieg eingezogen wurden, sahen 27 ihre Heimat nicht mehr. Fast jeder Fünfte verlor also sein Leben. Wie viele mit dauerhaften Gesundheitsschäden nach Hause kamen, ist nicht bekannt.

Hätten Sie's gewusst?

Ein ganz besonderer Tag in der politischen Geschichte Deutschlands war der Volksentscheid am 20. Juni 1926 im Deutschen Reich (nach Art. 153 der Reichsverfassung).

Entwurf eines Gesetzes über Enteignung der Fürstenvermögen
(insgesamt vier Artikel, von denen hier nur die beiden wichtigsten zitiert werden).

Artikel I

Das gesamte Vermögen der Fürsten, die bis zur 5taatsumwälzung im Jahre 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben, sowie das gesamte Vermögen der Fürstenhäuser, ihrer Familien und Familienangehörigen werden zum Wohle der Allgemeinheit ohne Entschädigung enteignet. Das enteignete Vermögen wird Eigentum des Landes, in dem das betreffende Fürstenhaus bis zu seiner Abdankung oder Absetzung regiert hat.

Artikel II

Das enteignete Vermögen wird verwendet zugunsten

a) der Erwerbslosen,
b) der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen,
c) der Sozial- und Kleinrentner,
d) der bedürftigen Opfer der Inflation
e) der Landarbeiter, Kleinpächter und Kleinbauern

durch Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz. Die Schlösser, Wohnhäuser und sonstigen Gebäude werden für allgemeine Wohlfahrts-, Kultur- und Erziehungszwecke, insbesondere zur Errichtung von Genesungs- und Versorgungsheimen für Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Sozial- und Kleinrentner sowie von Kinderheimen und Erziehungsanstalten verwendet. Der Volksentscheid scheiterte, weil nicht nur über 50% aller Abstimmenden, sondern über die Hälfte aller Wahlberechtigten zustimmen mussten. Von 471 Tegernheimer Wahlberechtigten nahmen nur 71 an dieser Abstimmung teil. Davon stimmten 65 mit Ja und 6 mit Nein. Woher kam diese geringe Beteiligung? Nun, die Bayerische Volkspartei und auch die Kirche hatten zur Wahlenthaltung aufgerufen; die Kirche verwies dabei auf das 7. Gebot. Dadurch setzte sich jeder, der zur Urne ging, dem Verdacht aus, ein "Roter" zu sein, und das war auf dem Dorf ein Problem. Übrigens: Wie die Fürsten zu ihrem Besitz gekommen waren, fragte niemand...

Diredari in der "guten alten Zeit"

Eine Halbe Bier kostete 1914 bei der Jesuiten-Brauerei 13 bis 14 Pfennige. Bevor Sie sich jetzt sofort eine Zeitmaschine wünschen, mit der Sie in dieses bayerische Paradies zurückreisen können: Der vorgeschriebene Tageslohn betrug damals 3,00 Mark! Auf heutigen Verdienst umgerechnet kam ein Bier also auf etwa 6 DM. Dafür konnten die alten Deutschen für 0,50 Pfennige einen Monat lang Zeitung lesen, während es heute für umgerechnet ca. 21 DM ein solches Vergnügen längst nicht mehr gibt Wie stand es mit den Fleischpreisen? Für ein Pfund Rind- oder Schweinefleisch musste der Kunde in den Metzger1äden der Stadt zwischen 80 und 90 Pfennige hinlegen - nach heutigem Geld rund 38 DM! Der Speiseplan dürfte somit oft ziemlich kartoffelig und krautig ausgesehen haben. Dem geringen Einkommen der meisten angepasst belief sich der Jahresbeitrag beim Mieterverein auf nur 1 Mark.

Wie war es um die finanziellen Verhältnisse von Arbeitslosen bestellt? Für Verheiratete gab es 6 Mark Unterstützung pro Woche, dazu für jedes Kind zusätzlich 1 Mark. Ledige mussten mit 3 Mark pro Woche (einem Sechstel dessen, was sie als Tagelöhner verdient hätten) auskommen. Die Unverheirateten wurden vom Magistrat besonders "fürsorglich" behandelt: Sobald im Frühjahr das Wetter besser wurde, strich man ihnen die Unterstützung ganz! Da freute sich die Stadtkasse mehr über die schöne Jahreszeit als mancher Arbeiter.

Quellenangaben:

  • Roser, Raimund: Chronik der Gemeinde Tegernheim, Regensburg, 1.Auflage 1992
  • Zorn, Wolfgang: Bayerns Geschichte im 20.Jahrhundert, München 1986
  • "Regensburger Neueste Nachrichten", mehrere Ausgaben, Jahrgang 1914

Armut im "Dritten Reich"

Ein anderes Beispiel zeigt die kümmerliche soziale Absicherung im angeblich so auf die kleinen Leute bedachten NS-Staat. Ein Tegernheimer Familienvater starb 1935 im Alter von nur 36 Jahren. Er hinterließ seine Frau und zwei Kinder im Alter von fünf und zehn Jahren. Die Kinder erhielten zusammen 19 Mark Waisenrente, die Frau bekam 3 (in Worten: drei) Mark Witwenrente im Monat! Davon mussten jeweils 10 Mark für die Miete abgezweigt werden. So konnte man damals die Schulkinder in zwei Gruppen einteilen: Die einen aßen in der Pause ihr Brot, die anderen schauten dabei zu.

Bürgerrechte?

Mindestens 1100 Jahre alt wird Tegernheim in diesen Tagen. Seit weniger als 100 Jahren sind seine erwachsenen Einwohner auch Bürger mit den entsprechenden Rechten und Pflichten. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs galt z.B. in Regensburg: Bürger war "jeder volljährige Mann (...), der selbständig ist und eine direkte Steuer zahlt". Nur solche Männer durften z.B. an den Gemeindewahlen teilnehmen. Vom Bürgerrecht ausgeschlossen blieben "entmündigte Personen, Dienstboten und Gewerbsgehilfen (...), die in die häusliche Gemeinschaft des Dienstherrn aufgenommen" waren.

Erst das Ende des deutschen Kaiserreichs und des Königreichs Bayern durch die Revolution von 1918 brachten das freie und gleiche Wahlrecht für alle. Dafür hafte u.a. die bayerische SPD schon seit 1892 gekämpft.

So meldete eine Regensburger Tageszeitung vom 9. März 1914:

"Die von der sozialdemokratischen Partei veranstaltete rote Woche, die hauptsächlich eine Agitation für das Frauenwahlrecht bildet, hat gestern (...) mit Versammlungen und Flugschriften-Verteilung begonnen." Man bedenke: Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung war politisch gesehen bis vor 83 Jahren als Menschen zweiter Klasse behandelt worden!

Ja, so war'n s ... de old'n Dechahamer

Zwei Begebenheiten aus den (19)50er Jahren

Ein Bauer hatte in einer Tegernheimer Wirtschaft ausgiebig dem Bier zugesprochen. Als er das Lokal zu später Stunde schwer angeschlagen verließ, stieß er auf dem völlig unbeleuchteten Anwesen mit dem Kopf heftig gegen einen Mauervorsprung. "Mei liaba, du hau no amol her!", drohte der Geprellte und beharrte auch am nächsten Tag noch darauf, dass er einem gemeinen Angriff aus dem Dunklen zum Opfer gefallen war.

Ein Bauer hatte bis in der Früh im Wirtshaus gesessen und machte sich anschließend gleich an die wichtige Arbeit des Mistfahrens. Da er dabei auf dem Wagen einschlief, blieben seine Ochsen nach einiger Zeit stehen. Ihr Herr und Meister schreckte auf und begann sofort mit dem Abladen der anrüchigen Fracht. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er im Begriff war, die Straße zu düngen. Unter zornigem Gebrumm erkletterte er mühsam wieder den Führersitz und lenkte das Gespann so schnell wie möglich davon, dem Feld zu, für das der Dünger eigentlich bestimmt war. Dabei schimpfte er laut auf die Ochsen ein, weil sie an der falschen Stelle Halt gemacht hatten.

Eine alte Bäuerin hatte (um 1960 herum) gehört, dass man mit einem "Fernseh" auch Ereignisse sehen konnte, die sich weit weg von einem abspielten. Sie ließ sich einen solchen Apparat ins Haus liefern und war dann bitter enttäuscht, weil sie gehofft hatte, damit bei der Hochzeit ihrer Tochter zuschauen zu können, die an einem bekannten Wallfahrtsort heiratete. Mit der Zeit hat sie ihr neues Unterhaltungsgerät dann wohl doch von seinen angenehmen Seiten her kennen gelernt.

Ein Tegernheimer Bürger, der immer großen Wert darauf gelegt hatte, zackig mit dem "Hitler-Gruß" angeredet zu werden, zog nach dem letzten Fliegeralarm mit einem Leiterwagen, auf dem sich seine wichtigste Habe befand, vom Tegernheimer Keller wieder zurück ins Dorf. Auf der Hauptstraße rollte gerade die Nachhut der amerikanischen Panzertruppen heran, die den Ort besetzten. Einer der Buben am Straßenrand, grüßte den Mann respektvoll mit "Heil Hitler!" "Bist staad!" zischte der Angesprochene ihm böse zu, "bist staad!". Erst später hat der Bub dann verstanden, warum sein so gut gemeinter Gruß so undankbar aufgenommen wurde. Oder: So mussten auch damals schon die Kinder das Gefühl haben, dass man es manchen Erwachsenen nie recht machen kann.